Initiative 19. Februar hat zusätzliche Fragen zum Einsatz des Frankfurter SEK in der Tatnacht in Hanau
Nachdem bekannt wurde, dass 20 SEK Beamte aus Frankfurt an rechtsradikalen Chats beteiligt waren und die gesamte Einheit von Innenminister Beuth nun aufgelöst werden musste, stellen sich der Initiative 19. Februar neue Fragen. Denn Beamte des Frankfurter SEK waren in der Nacht vom 19. zum 20. Februar auch in Hanau im Einsatz. SEK-Beamte waren zumindest bei der Beobachtung und Stürmung des Täterhauses maßgeblich beteiligt.
„Bis heute haben wir keine befriedigenden Antworten darauf bekommen, warum fünf Stunden zwischen Identifizierung des Täters und der Stürmung des Hauses vergangen sind,“ sagt Newroz Duman von der Initiative 19. Februar. „Wir fragen uns jetzt natürlich, ob rechtsradikale SEKler in Hanau im Einsatz waren und das dortige Geschehen mitbestimmt haben.“
Die Initiative 19. Februar hatte zum ersten Jahrestag des rassistischen Mordanschlages eine Dokumentation zur „Kette behördlichen Versagens“ veröffentlicht. Darin ging es u.a. um die unerklärlichen Verzögerungen am Täterhaus, aber auch um den bedrohlichen Übergriff einer Sondereinheit der Polizei in dieser Nacht gegenüber wartenden Familienangehörigen eines Opfers.
„Lückenlose Aufklärung war und bleibt unsere zentrale Forderung und wir wollen jetzt natürlich auch wissen, wer genau vom SEK in Hanau und für welche Einsatzschritte verantwortlich war,“ fasst Newroz Duman die offenen Fragen zusammen.
Die Dokumentation zur „Kette des Versagens“ kann hier nachgelesen werden:
Erste Fragen zum Täterhaus finden sich auf Seite 11, die Schilderung des
Übergriffs einer Sondereinheit auf Angehörige auf Seite 8.
Liebe Freund:innen,
Unser Newsletter soll alle Interessierten auf dem Laufenden halten über Neuigkeiten bezüglich „Erinnerung, Gerechtigkeit, Aufklärung, Konsequenzen“, unseren vier zentralen Forderungen. Wir wollen wichtige Termine „rund um Hanau“ teilen, auf wichtige Artikel und Texte aufmerksam machen, schnell und einfach informieren und mobilisieren. Wir wollen Euch einladen mitzuwirken im Kampf gegen Rassismus und für eine Gesellschaft der Vielen.
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Und wir beginnen die zweite Ausgabe mit den ersten Zeilen der beeindruckenden „Möllner Rede im Exil“, die Naomi Henkel-Gümbel (Überlebende des Anschlages in Halle im Oktober 2019 und Rabbinerin in Ausbildung) und Newroz Duman (aktiv in der Initiative 19. Februar Hanau) gemeinsam am 18. April 2021 in Hamburg in Gedenken an die Opfer des rassistischen Brandanschlags in Mölln im Jahre 1992 gehalten haben. Die gesamte Rede und ein Video-Mitschnitt finden sich unter folgendem Link: https://gedenkenmoelln1992.wordpress.com
„Wir sind die radikale Vielfalt an sich; das Schöne, das Andere, das Sichtbare, das Mögliche.
Aber wie sind wir das geworden? Wir alle tragen die unterschiedlichsten Geschichten mit uns: die eigenen, die geerbten, die erträumten, die verlorenen, die erstrebten, die erkämpften…
Die unterschiedlichsten Geschichten, und doch eint es uns, dass wir heute hier sind.
Was ist dieses etwas aber, das uns eint?
Unser Alltag wurde durch Gewalt und Ausgrenzung gebrochen. So weit, dass wir um unser eigenes Leben und das unserer Liebsten fürchten mussten, vielleicht immer noch fürchten. Diese Furcht – bei manchen schlug sie in einen Schmerz über den Verlust eines geliebten Menschen um.
10373 Tage sind vergangen. 10373 Tage.
Das sind 28 Jahre, 4 Monate und 26 Tage, die seit dem 23. November 1992 vergangen sind. Das sind 10373 Tage ohne Bahide, Yeliz und Ayşe.
Das sind 10373 Tage, seitdem die Welt ohne das Lachen und ohne die Wärme der Drei auskommen muss. Es sind 10373 Tage, in denen Geburtstage, Familienfeiern, Hochzeiten, Feiertage gefeiert wurden und ihre Präsenz fehlte. 10373 Tage, die ihnen geraubt wurden. Diese Drei – Bahide, Yeliz und Ayşe – sie sind vor 28 Jahren, 4 Monaten und 26 Tagen aus dem Leben gerissen worden.
Sie wurden ihres Lebens beraubt; auf einem nicht natürlichen Weg. Auf einem ungerechten Weg. Auf einem hasserfüllten Weg. Jemand hat Dir aus hasserfüllten Motiven Deine Liebsten genommen.
Der Verlust einer geliebten Person: Wie geht man damit um? Wie findet man Kraft für jeden neuen Tag? Was tut man, wenn man an sich zweifelt? Wenn man an der Welt verzweifelt?
Und irgendwann trifft einen diese Erkenntnis: Es gibt kein Zurück zur Normalität. Dieser Tag, dieser Moment, er hinterlässt Narben, die bleiben und uns für immer prägen. Es gibt Tage, an denen reißen die Narben auf und man fühlt den starken, stechenden Schmerz. Und dann gibt es Tage, an denen uns diese Narbe unterschwellig beeinträchtigt. Man wünscht sich die Tage vor jenem Tag, vor jenem Moment, zurück.
Was treibt einen an? Was treibt einen dazu, gegen den Widerwillen von Institutionen und der breiten Gesellschaft für Aufklärung zu streiten? Trotz des Ganzen, auch danach noch, erfahrenen Unrechts, weiterzukämpfen?
Es gibt viele Beweggründe. Für manche ist es die schiere Wut, die sie antreibt. Wut, dass diese Tat überhaupt passieren konnte. Dass die Angst, der Schmerz, der Verlust nicht anerkannt werden. Andere sind getrieben von einem Gefühl der Verantwortung oder sogar Schuld ihren Liebsten gegenüber. Verantwortung, für Aufklärung zu sorgen und ihrer zu gedenken.
Wieder anderen hilft es bei der Bewältigung des Erlebten. Auch wenn es die Narbe nicht heilen kann, hilft es ihnen, einen Umgang mit ihrem Schmerz zu finden.
Für manche sind es auch alle Gründe zusammen. Doch unabhängig davon, was uns genau antreibt, ob Wut, Verantwortung, Bewältigung oder alles drei, eines haben wir gemeinsam:
Wir haben uns dem nicht gebeugt – wir sind nicht in die Unsichtbarkeit gegangen. ….“
Erinnerung
Am 27. Mai hat die Stadt Hanau am Gedenkkreuz für Vili Viorel Păun eine zusätzliche Gedenktafel aufgestellt, die den Hintergrund seiner Ermordung erläutert.
„Vili Viorel Păun hatte den Attentäter des 19. Februar 2020 auf eigene Faust verfolgt, um ihn aufzuhalten. Er versuchte zwischen 21:57 und 21:59 mehrmals vergeblich, einen Notruf bei der Polizei abzusetzen.
Vili Viorel Păun bezahlte an dieser Stelle seine Zivilcourage mit dem Leben.“
Gerechtigkeit
Bis heute (8. Juni 2021) haben die Angehörigen der Opfer und die Überlebenden des 19. Februar von der hessischen Landesregierung keinen Cent an direkter finanzieller Unterstützung erhalten. Zwar wurde Anfang des Jahres ein allgemeiner Fond für Opfer von Straftaten in Hessen verabschiedet und mit zwei Millionen Euro ausgestattet. Doch gleichzeitig blieb unklar, wer davon was und wie beantragen kann. Der Hanauer Anschlag wurde genannt, aber ebenso Volkmarsen (mit alleine 150 Verletzten) und sonstige Betroffene. Damit wurde angesichts der geringen Summe eine inakzeptable Opferkonkurrenz in die Welt gesetzt.
Im August wird der Anschlag von Hanau 18 Monate her sein, dann wird für einige der Angehörigen und Überlebenden der Krankengeldbezug auslaufen. erhalten. Und sie werden in eine noch unsicherere finanzielle Situation geraten. Das kann und darf nicht sein. Die Hinterbliebenen und Überlebenden müssen eine finanzielle Absicherung durch einen eigenen Fond als Opfer rassistischer Anschläge erhalten. Das fordern mit uns über 53.000 Menschen mit ihren Unterschriften unter einer entsprechenden Petition, die am 8. Juni an Vertreter:innen der demokratischen Fraktionen in Wiesbaden übergeben wurden.
Aufklärung
Ein Überblick über Strafanzeigen und juristische Schritte
Wie in der ersten Ausgabe beschrieben, sind es nicht die Behörden sondern die Familien und Überlebenden mit ihren Anwält:innen und Unterstützer:innen, die auf verschiedenen Ebenen versuchen, dass die Vorgänge vor, in und nach der Tatnacht aufgeklärt werden. Im folgenden ein kurzer Überblick:
Seit Dezember 2020 läuft bereits eine Strafanzeige gegen Unbekannt wegen des verschlossenen Notausgangs am zweiten Tatort. Seitdem müssen (!) Staatsanwaltschaft und Polizei dazu ermitteln, Informationen zum Stand der Dinge gibt es aber bislang nicht. Im Februar 2021 wurde zudem eine ausführliche Anzeige gegen den Vater des Täters wegen Beihilfe zum mehrfachen Mord oder Nichtanzeige geplanter Straftaten gestellt. Auch dazu gibt es von den Behörden bislang nur Stillschweigen. Wegen der nur teilweisen Nichterreichbarkeit des Notrufes der Hanauer Polizei in der Tatnacht wurde laut Staatsanwaltschaft ein „Prüfverfahren“ eingeleitet. Darüber hinaus ebenfalls keine weiteren Informationen. Schließlich wurde beim hessischen Innenminister Beuth eine Dienstaufsichtsbeschwerde eingereicht,
in der neben Notausgang und Notruf insbesondere auch die falschen bis gefälschten Obduktionsbewilligungen
thematisiert wurden. Das Innenministerium verweigert mit Verweis auf offene Verfahren jegliche inhaltliche Antwort. Eine entsprechende Amtshaftungsklage ist deshalb in Vorbereitung. Noch im Juni ist die Beantragung eines Untersuchungsausschusses zu Hanau durch die Oppositionsparteien im hessischen Landtag geplant.
Spätestens im Herbst sollten dann in diesem parlamentarischen Ausschuss die vielen offenen Fragen zur Kette behördlichen Versagens gestellt und damit die verantwortlichen Behörden zu Antworten gezwungen werden.
Konsequenzen?! – Teil 1
„Rassismus ist noch immer eine brutale Wirklichkeit in unserem Land. Die Anschläge in Hanau und Halle, die Taten des NSU, der Mord an Walter Lübcke – sie alle zeigen es.“
„Beim Bundesamt für Verfassungsschutz wollen wir eine Zäsur. Die Morde des NSU haben gezeigt, dass die Verfassungsschutzämter gegenüber dem Rechtsterrorismus versagt haben.“ Beide Zitate stammen aus dem aktuellen Parteiprogramm der Grünen für die Bundestagswahl.
Wie sieht es aus in Hessen, wo die Grünen seit 2014 mit der CDU eine Regierung bilden?
NSU-Akten bleiben verschlossen, ein CDU-Ministerpräsident verhindert und verzögert Aufklärung durch Vereitelung oder Verzögerung von Zeugenbefragungen. Mit Unterstützung eines grünen Koalitionspartners.
Während Grüne auf Bundesebene Aufklärung fordern, enthielten sich 2014 die hessischen Grünen
bei der Abstimmung über einen NSU-Untersuchungsausschuss! Als in Hessen 2019 ein rassistisches Netzwerk in der Polizei bekannt wird, wäre ein weiterer Moment zu entschlossenem Handeln gewesen – von den Grünen in Hessen war nichts zu sehen.
Den Oppositionsparteien blieb es vorbehalten, die schleppenden Ermittlungen im Zusammenhang mit „NSU 2.0“ zu kritisieren.
Es gibt nicht viele Interpretationsmöglichkeiten für ein solches Verhalten – zwischen einfacher Rückgratlosigkeit und direkter Heuchelei zum eigenen Machterhalt dürften sich die meisten bewegen. Die Frage stellt sich jedoch, wie die Grünen auf dem Weg zur Bundestagswahl es schaffen wollen, den unbequemen Fall Hessen weiterhin zu ignorieren, ohne ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren. Ein grüner Tübinger Bürgermeister, der sich mehrfach offen rassistisch äußerte, schien nun nicht mehr tragbar. Was ist mit einer ganzen Landesfraktion, die kontinuierlich die Aufklärung rassistischer Morde mit- blockiert?
In Kürze wird derselbe Landtag über einen weiteren Untersuchungsausschuss abstimmen: den zur Aufklärung der vielen offen Fragen zum Anschlag am 19. Februar in Hanau. Die zur Einsetzung nötigen Stimmen wird es im Landtag auch ohne die Grünen geben, trotzdem sollten sie sich in Hessen sowie bundesweit der Bedeutung dieser Entscheidung bewusst sein. Es gibt einiges nachzuholen! Und ein ,,Wir würden ja gerne, aber…“ wird nicht länger hingenommen. Wir fordern die Grünen auf, ihre Versprechen im Kampf gegen Rassismus einzulösen!
Konsequenzen?! Teil 2 – Hanauer Polizei versagt weiter – Beleidigung und Bedrohung von Betroffenen!
Ende April 2021 trafen zwei junge Menschen in ihrem Auto auf dem Waldparkplatz zwischen Hanau- Wilhelmsbad und Hanau-Mittelbuchen gegen 0:10 Uhr auf einen Mann, der sich ihnen mit Griff nach der im Holster an seiner Hüfte steckenden Waffe bedrohlich näherte. Beide sind aufgrund ihrer persönlichen Nähe zu Opfern des 19.Februar sensibilisiert. Sie setzen direkt einen Notruf bei der Polizei ab. Statt diesen Notruf ernst zu nehmen, wurde ihnen mit Hinweis auf die Corona- Ausgangssperre eine Anzeige angedroht. Als die beiden Betroffenen am frühen Morgen bei der Polizeidienststelle am Hanauer Freiheitsplatz nochmals direkt versuchten, eine Anzeige aufzugeben, wurden sie vom gleichen Polizisten nicht nur erneut abgewimmelt sondern beschimpft und sogar bedroht.
Wir erinnern uns natürlich sofort an die Vorfälle mit einem bewaffneten Mann, der vor dem JUZ in Kesselstadt 2017 und 2018 Jugendliche bedroht hatte. Damals wurde den bedrohten Jugendlichen seitens der Polizei unterstellt, dass sie bewusst falsch alarmiert hätten und gesagt, dass sie den Einsatz zu zahlen hätten. Heute kann nicht mehr ausgeschlossen werden, dass es sich um den Attentäter vom 19.Februar handelte.
Immerhin: Laut Hessenschau erklärte das zuständige Polizeipräsidium zum aktuellen Skandal, es laufe ein disziplinarrechtliches Verfahren. Der Beamte sei zudem versetzt worden. Die Hanauer Staatsanwaltschaft ermittelt nach hr-Informationen mittlerweile auch strafrechtlich gegen den Polizisten wegen Strafvereitelung im Amt sowie gegen den Unbekannten mit der Waffe wegen Bedrohung und Nötigung, außerdem wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Waffengesetz.
Der ausführliche Bericht und Video in der Hessenschau:
Bildungsinitiative Ferhat Unvar
Großartige Neuigkeiten von der Bildungsinitiative Ferhat Unvar!
Nach langer Suche hat die „Bildungsini“ endlich einen passenden Raum gefunden, der in Zukunft zu einer Bildungs-, Begegnungs- und Beratungsstätte eingerichtet werden soll. Der Mietvertrag ist bereits unterschrieben. Bis es aber tatsächlich losgehen kann, ist noch einiges zu tun: Der Raum muss noch renoviert und eingerichtet werden. Das kostet nicht nur Zeit, sondern auch Geld. Wer die Bildungsinitiative Ferhat Unvar in diesem großen Schritt auf ihrem Weg unterstützen möchte, kann sich gerne direkt mit der Bildungsinitiative in Verbindung setzen:
www.bildungsinitiative-ferhatunvar.de
Stern für Hanau am 19. Juni 2021
Mobilisierung zur Fahrradsternfahrt läuft auf vollen Touren
Genau 16 Monate wird der rassistische Mordanschlag zurückliegen, wenn sich am Samstag, dem 19. Juni, Hunderte von Radfahrer:innen aus vielen Städten und Gemeinden Südhessens und Nordbayerns zu einem regionalen „Ride to Remember“ nach Hanau auf den Weg machen. Mit den #saytheirnames-T-Shirts, sowie der „Startnummer“ 19 02 20 werden die Teilnehmer:innen an die neun Opfer vom 19. Februar 2020 erinnern. Bei Kundgebungen und Informationsständen an vielen Orten entlang der Strecke werden sie die Forderung der Angehörigen und Überlebenden nach lückenloser Aufklärung unterstützen.
Sechs Routen sind mittlerweile in Vorbereitung, mit Startpunkten und Zwischenstationen aus allen Himmelsrichtungen, u.a. in Frankfurt, Offenbach, Gießen, Hammersbach, Gelnhausen, Rodenbach, Aschaffenburg, Kahl, Dudenhofen und Mühlheim. Auf der interaktiven Karte der Website Stern für Hanau lassen sich viele Abfahrtsorte, -zeiten und Kontaktadressen finden, um sich den Fahrrad- Demonstrationen nach Hanau anzuschließen.
Um 13.00 Uhr werden alle Rad-Gruppen auf dem Hanauer Freiheitsplatz zu einer gemeinsamen Kundgebung zusammenkommen. Hier werden insbesondere Angehörige und Überlebende zum aktuellen Stand bezüglich ihrer vier zentralen Forderungen nach „Erinnerung, Gerechtigkeit, Aufklärung und Konsequenzen“ informieren.
Die Initiative 19. Februar ruft alle Interessierten auf, sich an vielen Orten der Sternfahrt nach Hanau anzuschließen. Im „Laden“ der Initiative in der Krämerstraße 24 können Plakate und Flyer zur weiteren Mobilisierung abgeholt werden. Außerdem sind beide Grafiken als PDF zum Download auf der Website der Sternfahrt zu finden.
Hanau, 3. Juni 2021
Stern für Hanau am 19. Juni 2021
Mobilisierung zur Fahrradsternfahrt läuft auf vollen Touren
Genau 16 Monate wird der rassistische Mordanschlag zurückliegen, wenn sich am Samstag, dem 19. Juni, Hunderte von Radfahrer:innen aus vielen Städten und Gemeinden Südhessens und Nordbayerns zu einem regionalen „Ride to Remember“ nach Hanau auf den Weg machen. Mit den #saytheirnames T-Shirts, sowie der „Startnummer“ 19 02 20 werden die Teilnehmer:innen an die neun Opfer vom 19. Februar 2020 erinnern.
Bei Kundgebungen und Informationsständen an vielen Orten entlang der Strecke werden sie die Forderung der Angehörigen und Überlebenden nach lückenloser Aufklärung unterstützen.
Vier Routen sind mittlerweile in Vorbereitung, mit Startpunkten und Zwischenstationen aus allen Himmelsrichtungen, u.a. in Frankfurt, Offenbach, Hammersbach, Gelnhausen, Aschaffenburg und Kahl. Weitere Routen, beispielsweise aus Gießen und Dudenhofen sind ebenfalls bereits in Planung. Auf der interaktiven Karte der Website Stern für Hanau lassen sich viele Abfahrtsorte, -zeiten und Kontaktadressen finden, um sich den Fahrrad-Demonstrationen nach Hanau anzuschließen.
Um 13.00 Uhr werden alle Rad-Gruppen auf dem Hanauer Freiheitsplatz zu einer gemeinsamen Kundgebung zusammenkommen. Hier werden insbesondere Angehörige und Überlebende zum aktuellen Stand bezüglich ihrer vier zentralen Forderungen nach „Erinnerung, Gerechtigkeit, Aufklärung und Konsequenzen“ informieren.
Die Initiative 19. Februar ruft alle Interessierten auf, sich an vielen Orten der Sternfahrt nach Hanau anzuschließen und in den kommenden zwei Wochen zusätzliche Routen einzurichten. Im „Laden“ der Initiative in der Krämerstraße 24 können Plakate und Flyer zur weiteren Mobilisierung abgeholt werden.
Kontakt für den Stern für Hanau:
info [at] 19feb-hanau.org
Am 5. Mai 2020 haben wir die Anlaufstelle in der Krämerstraße offiziell eröffnet. Seitdem war der Raum jeden Tag offen. 140qm gegen das Vergessen – wie wir den Laden in Hanau umschreiben – sind manchmal kaum genug Raum, für das was passierte. Zu klein für die Emotionen, für die Wut, die Trauer, die Politik der Selbstorganisierung, das gegenseitige Zuhören, Lachen, Weinen, Ideen und Forderungen entwickeln. Von Außen ist es nur ein Laden. Für manche von uns, die wir dort ständig sind, ist es ein Mahnmal, für andere ein Prozessaal, ein Medium, um die Forderungen der Angehörigen – Erinnerung, Aufklärung, Gerechtigkeit und Konsequenzen – zu erkämpfen. Er ist aber auch ein Wohnzimmer, ein Ort des Gemeinsamen, in dem wir trotz all unserer Verschiedenheit und Differenzen zueinander finden und uns gegenseitig zuhören können.
Denn Erinnern heißt, für Veränderung zu kämpfen.
Wir bedanken uns bei allen, die in diesen Kämpfen mit uns sind und die Stimmen aus Hanau weitergetragen haben. Diese unermüdliche Solidarität gibt uns allen die Kraft, weiterzumachen.
Dank euren Spenden ist die Finanzierung der Anlaufstelle zunächst gesichert, wir sammeln aber weiter Geld für Öffentlichkeitsarbeit, für juristische Unterstützung und Gutachten zur lückenlosen Aufklärung, sowie für Material zu Mobilisierungen, wie am 19. Juni 2021 zum Stern für Hanau.
Liebe Freund:innen!
#saytheirnames – leuchtet in großen Buchstaben vom Vordach der Anlaufstelle Initiative 19. Februar Hanau.
Es ist und bleibt einer unserer wichtigsten Slogans nach dem rassistischen Terroranschlag am 19.02.2020 in Hanau – als Ausdruck davon, dass wir die Ermordeten nie vergessen werden. Die Perspektive der Opfer und Betroffenen gehört beim Gedenken und im Kampf gegen Rassismus in den Mittelpunkt. Und so überschreiben wir auch unseren Newsletter, den wir ab jetzt regelmäßig erstellen möchten.
Die Ausgabe Nr.1 erscheint zu einem besonderen Anlass. Vor fast einem Jahr eröffneten wir die Anlaufstelle in der Krämerstraße 24 offiziell. „140 qm gegen das Vergessen“ lautete das Motto, mit dem wir am 5. Mai 2020 den “Laden“ mit erstem Text, Fotos und Video-Clip auf der Webseite der Initiative 19. Februar vorgestellt und die gleichnamige Kampagne gestartet haben. Seitdem – mit Hygienekonzept und trotz und gegen alle Corona-Wellen – ist dieser soziale Raum jeden Tag geöffnet und er hat sich zu einem zentralen Treffpunkt und Ort der Selbstorganisierung der Hinterbliebenen, Überlebenden und deren Freund:innen sowie Unterstützer:innen entwickelt.
Der Newsletter soll alle Interessierten auf dem Laufenden halten über Neuigkeiten bezüglich „Erinnerung, Gerechtigkeit, Aufklärung, Konsequenzen“, unseren vier zentralen Forderungen.
Wir wollen wichtige Termine „rund um Hanau“ teilen, auf wichtige Artikel und Texte aufmerksam machen, schnell und einfach informieren und mobilisieren.
Wir wollen Euch einladen mitzuwirken im Kampf gegen Rassismus und für eine Gesellschaft der Vielen.
Bitte helft mit, den Newsletter zu verbreiten.
Schreibt uns auch gerne, wenn Ihr Informationen oder (Text)Hinweise habt, die Ihr in den nächsten Ausgaben veröffentlicht sehen wollt. Oder wenn Ihr sonstige Anregungen oder Vorschläge habt, die wir aufgreifen können.
Beste Grüße aus der LadenRedaktion
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Gedenktag und Entwicklungen der zentralen Mahnmale
Am 19. Tag des Monats gedenken wir den neun Seelen, die von uns gegangen sind. Es gibt zwei Mahnmale an den beiden Tatorten, wo jeden Monat Blumen und Kerzen niedergelegt werden. Das erste befindet sich am Heumarkt und das zweite befindet sich am Kurt-Schumacher-Platz. Dort findet sich auch ein Kreuz, welches Vili Viorel Păun gewidmet ist, da er versucht hat den Täter aufzuhalten. Dafür wurde ihm auch am 19.04.2021, vom Land Hessen, die Medaille für Zivilcourage verliehen. Das zweite Mahnmal befindet sich neben der Arena Bar. Der bisher größte Gedenkort war bis zum 19.03.2021 am Brüder-Grimm-Denkmal, auf dem Marktplatz. Die Bilder, Blumen und Kerzen mussten dort entfernt werden, da das Denkmal saniert wird. Die Stadt Hanau und die Familienangehörigen der Opfer befinden sich derzeit in einem gemeinsamen Prozess, um ein dauerhaftes Mahnmal auf einem der zentralen Plätze zu errichten. Ihr seid alle eingeladen, euch um Gedenkorte zu kümmern, sie zu pflegen und die Erinnerung sichtbar und dauerhaft zu erhalten.
Die Bildungsinitiative Ferhat Unvar
Mehr als ein Jahr nach dem rassistischen Anschlag sitzen Trauer und Wut immer noch tief. Serpil Temiz Unvar zieht genau daraus ihre Kraft. Im Namen ihres ermordeten Sohnes hat sie die Bildungsinitiative Ferhat Unvar gegründet. Gemeinsam mit Freund:innen von Ferhat, Bildungsreferentinnen und jeder Menge Unterstützer:innen will sie gegen Rassismus vorgehen. Serpil und die Bildungsinitiative setzen dabei in den Schulen an, bieten Workshops von und für Jugendliche an.
Daneben soll die Bildungsinitiative aber auch Beratungsstelle für betroffene Jugendliche und deren Eltern werden. Um allen Personen eine Anlaufstelle zu bieten, sucht die Bildungsinitiative derzeit nach eigenen Räumen. Wer die Bildungsinitiative Ferhat Unvar unterstützen möchte, findet auf ihrer Website die Kontaktdaten, sowie alle nötigen Infos zu Spendenmöglichkeiten:
www.bildungsinitiative-ferhatunvar.de
Ein Rechtsterrorismus-Opferfonds in Hessen
Die Initiative 19. Februar, die Bildungsstätte Anne Frank und der VBRG fordern einen hessischen Opferfond, der für die Familien der Opfer und Überlebende rechts-terroristischer, rassistischer und antisemitischer Gewalt finanzielle Unterstützung bietet. Täglich sehen wir welche Folgen diese Gewalttat auf die unmittelbar davon Betroffenen auf psychischer, physischer und auch auf materieller Ebene hat. Bis auf eine einmalige Entschädigung durch den Bund haben die Familien und Überlebenden keine finanzielle Unterstützung erhalten. Vor allem das Land Hessen müsste hier Verantwortung übernehmen. Stattdessen verbreitet Hessens Innenminister Beuth Falschinformationen in den Medien, wenn er beschlossene Projektgelder als Hilfen für die Familien darstellt. Das Land Hessen hat entgegen dieser Falschmeldungen aus dem hessischen Innenministerium keinen Cent an die Familien ausgezahlt. Lediglich ein genereller Opferfond für „Opfer von Straftaten“, der bereits seit 2013 geplant war, wurde kürzlich beschlossen – ohne rechtsextreme und rassistische Gewalt zu erwähnen. Die oben genannten Organisationen und Initiativen haben bis heute durch eine Petition ca. 51.000 Unterschriften gesammelt und bitten um weitere Unterstützung dieser Petition durch euch.
Petition für einen hessischen Rechtsterrorismus Opferfonds:
Nichts wird vergeben und vergessen
Auch im 15. Monat nach der Tat kommt von Politik, Behörden und Polizei – Nichts! Niemand übernimmt Verantwortung für zumindest einzelne Teile und Fragen in der Kette des Versagens, die wir kurz vor dem ersten Jahrestag nochmals ausführlich dargestellt hatten.
Wenn nicht die Angehörigen und Überlebenden selbst ermittelt und in die Öffentlichkeit gegangen wären, würde bis heute kaum jemand etwas wissen zu den Fehlern und Unterlassungen im Vorfeld der Tat sowie über den rücksichtslosen Umgang mit den Betroffenen in der Tatnacht und danach.
Nur drei Beispiele: Niemand wüsste und niemand würde ermitteln zum verschlossenen Notausgang in der Arena-Bar – wenn nicht die Familien eine Anzeige gestellt hätten. Niemand würde wissen, dass der Notruf bei der Hanauer Polizei nicht funktioniert hat und deshalb Vili Viorel Păun nicht gewarnt und gerettet und eventuell sogar die Morde am zweiten Tatort hätten verhindert werden können – wenn es die Angehörigen nicht in die Medien gebracht hätten. Niemand hätte etwas über falsche oder gar gefälschte Obduktionseinwilligungen erfahren – wenn es die Hinterbliebenen nicht zum Thema gemacht hätten.
Die Betroffenen haben gemeinsam mit Anwält:innen und Unterstützer:innen mit endlosen Briefen und Einreichungen, mit Strafanzeigen und Pressemitteilungen, mit Interviews und auf Kundgebungen zur Sprache gebracht, was die Verantwortlichen einfach nur totschweigen und aussitzen wollten. Längst hätten sie jedenfalls zu einzelnen Aspekten Auskunft geben, hätten sich für offensichtliche Fehler entschuldigen können und zumindest ernsthafte Gespräche anbieten müssen. Stattdessen bleibt es bei Beileidsfloskeln und der Vorstellung, dass die Angehörigen und ihre Unterstützer:innen müde werden und erschöpft aufgeben.
Nein. Das wird nicht geschehen. Nichts wird vergeben und vergessen! Bis lückenlos aufgeklärt und Verantwortliche für ihre Fehler zur Rechenschaft gezogen wurden.
Video und Text zur Anklage ein Jahr nach dem rassistischen Terroranschlag:
https://19feb-hanau.org/2021/02/14/wir-klagen-an-ein-jahr-nach-dem-rassistischen-terroranschlag/
Rassisten entwaffnen – wir geben keine Ruhe!
Der Attentäter konnte nur deswegen in Hanau morden, weil er legal Waffen besitzen durfte. Umso unfassbarer, da er in der Vergangenheit mehrfach auffiel. Hier haben die zuständigen Behörden auf ganzer Linie versagt.
Wir wollen, dass sie für ihre Versäumnisse Verantwortung übernehmen und daraus Konsequenzen gezogen werden!
Niemand, der bereits wegen rassistischer oder rechter Äußerungen aufgefallen ist – und schon gar nicht, wer bekanntermaßen in Kontakt zu rechten Gruppierungen steht – darf eine Waffenbesitzkarte oder Waffenschein ausgestellt bekommen. Statt Rassisten zu entwaffnen, erfahren wir aber, dass mehr Rassisten seit dem Anschlag bewaffnet wurden!
Allen Personen, von denen dies bekannt wird, müssen diese SOFORT entzogen werden.
Fehlende Überprüfungen müssen umgehend nachgeholt werden.
Gemeinsam mit den Familien der Opfer fordern wir eine unabhängige Untersuchungskommission, um den Komplex des terroristischen Anschlags vom 19. Februar 2020 in Hanau unabhängig von der Landesregierung zu untersuchen. Die Kommission soll u.a. die Erteilung/Verlängerung der Waffenerlaubnis des Mörders, sowie die mangelhaften Abstimmungen zwischen den hessischen Behörden untersuchen. Auch die Polizeieinsätze in der Tatnacht und der Umgang mit Angehörigen und Überlebenden muss thematisiert werden.
Von den verantwortlichen Stellen in Hessen wird bislang jegliches Behördenversagen negiert, sowie entsprechende Aufklärung aktiv verhindert.
Wir geben keine Ruhe!
Termine
Samstag, 1. Mai: Kundgebung des DGB (Deutscher Gewerkschaftsbund)
„Solidarität ist Zukunft“ – unter diesem Motto lädt der DGB am 1. Mai um 10.00 Uhr zur Kundgebung auf dem Hanauer Marktplatz ein. Im Programm steht auch ein Redebeitrag zum 19. Februar sowie das Lied von Aksu: „Wo wart ihr?“
https://suedosthessen.dgb.de/themen/++co++7ab45fe8-6b85-11eb-b206-001a4a160123
Samstag, 8. Mai: Demonstration in Kassel
Aus Hanau wollen wir mit möglichst vielen Menschen an der Demonstration in Kassel teilnehmen und wir werden dort auch Redebeiträge zu unseren Erfahrungen und Forderungen in Hanau halten. Wer mitkommen und sich an Fahrgemeinschaften beteiligen möchte, bitte im Laden in der Krämerstraße 24 melden.
Hier einige Sätze aus dem Aufruf aus Kassel:
„Erinnern, Widerstand, Konsequenzen – Solidarisch gegen rechte Gewalt in Kassel und überall…
Kassel ist zu einem Symbol von rechtem Terror und Rassismus geworden: der Mord an Halit Yozgat und Walter Lübcke, der versuchte Mord an Ahmed, der Angriff auf Effe und die kürzlichen Bombendrohungen des NSU 2.0 gegen die Walter Lübcke Schule. Die Anschläge und Terrorakte in Kassel reihen sich mit dem Anschlag in Halle und den Morden in Hanau in die jüngere Geschichte rechter Gewalt ein, die aus rassistischen, antisemitischen und antifeministischen Überzeugungen verübt wird.(…)
Wir wollen am Jahrestag der Befreiung vom Faschismus Kontinuitäten rechter Gewalt und Diskriminierung in Kassel – und darüber hinaus – benennen, den Widerstand dagegen sichtbar machen, antifaschistische Allianzen bilden und ein besseres Leben für alle einfordern!“
https://antifaschistischermaikassel.noblogs.org/
Mittwoch, 19. Mai: monatliche Gedenkaktion
Am 19.5. werden wir an den beiden Tatorten den Opfern des rassistischen Terroranschlages gedenken. Genauere Informationen und Zeiten werden noch bekannt gegeben bzw. können im Laden in der Krämerstraße 24 erfragt werden.
Samstag, 19. Juni: Stern für Hanau – Fahrradsternfahrt aus Rhein-Main-Kinzig nach Hanau
Aus dem Aufruf: „Arsch in den Sattel, Zähne zeigen! Öffentlichkeit schaffen und Solidarität im Kampf um Aufklärung zeigen – zunächst dezentral auf den unterschiedlichen Routen und dann alle gemeinsam in Hanau…
Alle Radler:innen, die sich beteiligen wollen, sind aufgefordert, auf ihren Strecken zum Gedenken T-Shirts mit den Gesichtern und Namen der in Hanau Ermordeten zu tragen. Oder dazu passende antirassistische Aufnäher, Aufkleber oder Fähnchen z.B. mit „#saytheirnames“ mitzuführen. … Für den Abschluss in Hanau werden wir ein den Corona-Bedingungen im Juni angepasstes Konzept entwickeln, im besten Fall mit einer großen gemeinsamen Abschluss-Kundgebung um 13 Uhr auf dem Hanauer Freiheitsplatz.“
Der gesamte Aufruf und weitere Informationen hier:
https://www.stern-fuer-hanau.de
Pressemitteilung Hanau, 24. März 2021
Anwälte der Familien der Opfer, sowie von mehreren Verletzten des 19. Februar in Hanau konfrontieren das Hessische Innenministerium
Im Auftrag der Familien der Opfer und mehreren Verletzten des rassistischen Terroranschlages vom 19. Februar 2020 in Hanau haben der ehemalige hessische Justizminister, Rechtsanwalt Rupert von Plottnitz, sowie der Staatsrechtler Prof. Dr. Dr. Günter Frankenberg am vergangenen Montag gemeinsam ein Aufforderungsschreiben an das Hessische Innenministerium gerichtet. In dem Schreiben werfen sie Polizeikräften und Polizeibehörden in Hessen vor, die Mordtaten des Täters in Hanau durch amtspflichtwidrige Versäumnisse begünstigt bzw. nicht verhindert zu haben.
Insbesondere der zahlreichen Zeugenbekundungen zufolge mit Wissen und Duldung der Polizei verschlossene Notausgang am zweiten Tatort sowie die technisch unzulängliche und unterbesetzte Notrufanlage habe den Tatopfern die Möglichkeit genommen, sich vor der Tat durch Flucht oder das rechtzeitige Herbeiholen polizeilicher Hilfe zu schützen.
Außerdem seien im Falle eines Opfers nachweislich die Vitalfunktionen nicht rechtzeitig überprüft worden, was eine unterlassene Vergewisserung durch die Polizeikräfte darstelle, die als erste am Tatort waren.
Schließlich wird dem Land Hessen in ausführlichen Darlegungen vorgehalten, für die pflichtwidrige Vorbereitung der Obduktionen der am 19.02.2020 Ermordeten durch Polizei und Staatsanwaltschaft Hanau verantwortlich zu sein und damit das Totenfürsorgerecht der Angehörigen sowie die postmortale Würde der Verstorbenen verletzt zu haben.
Vor dem Hintergrund dieser Vorwürfe erheben die Vertreter der Familien Dienstaufsichtsbeschwerde und setzen dem Hessischen Innenministerium eine Frist bis 23. April 2021, die durch die genannten Versäumnisse verursachten materiellen und immateriellen Schäden auszugleichen.
Rupert von Plottnitz und Günter Frankenberg: „Entgegen den Behauptungen des Innenministers gab es aus unserer Sicht gravierende Versäumnisse und Fehlleistungen von Behörden, für die das Land Hessen verantwortlich ist.“
Armin Kurtović für die Familien der Opfer: „Sollte das Innenministerium sich erneut weigern, auf die von unseren Rechtsanwälten dargelegten Versagenspunkte einzugehen, werden wir beim zuständigen Gericht eine Amtshaftungsklage einreichen.“
Pressekontakt für Rückfragen:
presse@19feb-hanau.org
Danke an alle, die am 19. Februar aktiv waren
für Erinnerung, Gerechtigkeit, Aufklärung und Konsequenzen!
Am 19. Februar war es ein Jahr her, dass unsere Kinder, Geschwister, Eltern, Freundin und Freunde von einem rassistischen Attentäter ermordet wurden. Es war ein schmerzhafter Tag, voller Erinnerungen. Wir haben ihn gemeinsam durchgestanden. Vor und nach dem offiziellen Gedenken sind wir auf die Straßen gegangen. In Hanau haben wir zur Tatzeit an den Tatorten uns gemeinsam einen Moment Zeit genommen nur wenige Worte zu sprechen: die Namen unserer Ermordeten. Damit sie nie vergessen werden.
Den ganzen Tag über erreichten uns Nachrichten aus vielen vielen Städten in denen Menschen auf der Straße waren. Es waren sehr berührende Bilder, Momente des Zusammenkommens, der Trauer und der Wut, die uns Mut machen, dass sich wirklich etwas verändern kann. Wir haben eine unvollständige Liste auf unsere Webseite gesetzt, wo überall Gedenkaktionen stattgefunden haben, und würden uns sehr darüber freuen, wenn Ihr uns Fotos, Videos oder kurze Berichte zuschicken würdet, damit wir, jetzt wo wir ein bisschen mehr Ruhe haben, besser verstehen können, was überall passiert ist. Danke, dass Ihr alle da seid und Eure Kämpfe mit unseren verbindet.
Wir haben es geschafft, dass die Stimmen der Betroffenen, der Familienangehörigen der Ermordeten und der Überlebenden und ihre Anklage rund um den Jahrestag nicht zu überhören waren. Wir danken allen, die die Anklage an so vielen Orten übertragen haben. Wir danken auch allen, die mit dafür gesorgt haben, dass dieses Mal nicht die Perspektive des Täters, sondern die der Betroffenen die Medien bestimmt hat.
Danke auch an alle, die zugehört haben. Es ist wichtig, dass wir nicht in die Leere sprechen. Dass es immer mehr Zeuginnen und Zeugen gibt für das Versagen vor, während und nach der Tat. Dass mehr und mehr Menschen selbst aktiv werden und ihre eigenen Geschichten erzählen. Um dem strukturellen Rassismus etwas entgegenzusetzen, müssen wir viele sein. Wir dürfen nicht aufhören mit einem Jahrestag. Wir haben noch einen langen Weg vor uns.
Danke an alle, die diesen Weg gemeinsam mit uns gehen.
Pressemitteilung
09.03.2021
Angehörige der Opfer und Überlebende des rassistischen Terroranschlages von Hanau fordern die Einrichtung einer unabhängigen Untersuchungskommission
Im Namen der Familien der Opfer von Hanau fordern wir eine unabhängige Untersuchungskommission, um den Komplex des terroristischen Anschlags vom 19. Februar 2020 in Hanau unabhängig von der Landesregierung zu untersuchen und dazu einen faktenorientierten Abschlussbericht für die Öffentlichkeit zu erstellen.
Diese Kommission sollte mit Fachleuten aus den Bereichen Kriminologie, Forensik, Strafrecht, öffentliches Recht, sowie mit unabhängigen Vertreter:innen aus Anwaltschaft und Medien, aus Polizeigewerkschaft, Staatsanwaltschaft oder ehemalige Richter:innen und auch Parlamentarier:innen, die aber nicht aus Hessen kommen sollten, besetzt sein.
Die Kommission soll Untersuchungen u.a. zu folgenden Punkten anstellen:
— zu Umständen im Zusammenhang mit der Erteilung/Verlängerung der Waffenerlaubnis des Mörders und den hierfür Verantwortlichen
— zu den mangelhaften Abstimmungen zwischen den unterschiedlichen hessischen Behörden und darüber hinaus
— zu den Abläufen in der Tatnacht, wozu insbesondere eine exakte Rekonstruktion des Tathergangs sowie der Polizeieinsätze in der Tatnacht, sowohl an den Tatorten wie auch vor allem später um das Haus des Täters herum sowie innerhalb des Hauses gehört, wie auch;
— zum Einsatz der Rettungskräfte;
— zum Umgang mit Opfern in der Tatnacht und danach;
— zum Umgang und Angehörigen in der Tatnacht und danach;
— zu technischen und organisatorischen Versäumnissen, hier insbesondere;
— zu dem bei der Polizei nicht oder nur mangelhaft erreichbaren Notruf 110,
— zu den Umständen der Sperrung des Notausgang am Tatort in Kesselstadt und den hierfür Verantwortlichen,
— zu den Umständen und Abläufen bezüglich der Obduktionen der Opfer sowie der späteren Freigabe der Leichname und den hierfür Verantwortlichen.
Begründung:
Von den verantwortlichen Stellen in Hessen wird bislang jegliche ernsthafte Aufklärung von bekannten und noch nicht öffentlich bekannten, jedoch offensichtlichen Fehlern und Unzulänglichkeiten vor, während und nach der Tat abgelehnt, jedes mögliche Behördenversagen negiert sowie entsprechende Aufklärung aktiv blockiert.
Dieses Verhalten der hessischen Landesregierung von Ministerpräsident Volker Bouffier und Innenminister Peter Beuth sowie die Verweigerung einer geordneten Aufklärung grenzt an Vertuschung. Die Motive für dieses in einem Vorfall dieser Größenordnung hoch ungewöhnlichen Verhaltens ist unerklärlich und verstärkt den Verdacht, dass die hessische Landesregierung Vorgänge und Sachverhalte vor der Öffentlichkeit verbergen will, die durch diesen Anschlag ans Tageslicht kommen und die hessische Landesregierung politisch und rechtlich schwer belasten könnten.
Die hessische Landesregierung und die ihr untergeordneten Behörden sind in diesem Verfahren Partei, da es um ihre möglichen Versäumnisse geht, und da sie an Aufklärung erkennbar nicht interessiert sind. Deshalb ist es unumgänglich, dass Fachleute und Institutionen, die keinerlei Abhängigkeiten von oder Beziehungen zu der Landesregierung Hessen haben, den Komplex des Terroranschlags von Hanau aufarbeiten. Der Landesregierung muss angesichts ihrer Untätigkeit über ein Jahr nach dem schrecklichen Anschlag weitgehendes Versagen und mögliches Vertuschen attestiert werden.
Denn viele offenen Fragen bezüglich der im Ergebnis tödlichen Kette behördlichen Versagens sind seit Monaten bekannt, und dennoch wird von der Landesregierung alle Kritik totgeschwiegen, bagatellisiert oder aktiv abgeblockt. So verstärkt sich der Verdacht, dass hier in Hessen einmal mehr etwas vertuscht werden soll, wie es in Hessen seit den Taten des NSU, immer wieder zu erleben und zu beklagen ist.
Dieses Mal allerdings wollen und werden wir es nicht zulassen, dass unsere berechtigten Fragen und unsere sachliche Kritik ignoriert werden und dass behördliches sowie polizeiliches Versagen unter den Teppich gekehrt werden kann.
Mit der geforderten unabhängigen Untersuchungskommission setzen wir uns für ein weiteres, von Hessen unabhängiges Gremium ein, damit die Fehler dieses schrecklichen Anschlages ohne Rücksicht auf mögliche schwere Versäumnisse der Landesregierung aufgearbeitet werden kann. Das Ziel ist, dass keine Familie erneut erleben muss, was wir erleiden müssen.
Für die Gedenkkundgebungen in euren Städten haben wir Audio-Files zusammengestellt, die hier runtergeladen und auf den lokalen Veranstaltungen abgespielt werden können.
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