Pressemitteilung
09.03.2021
Angehörige der Opfer und Überlebende des rassistischen Terroranschlages von Hanau fordern die Einrichtung einer unabhängigen Untersuchungskommission
Im Namen der Familien der Opfer von Hanau fordern wir eine unabhängige Untersuchungskommission, um den Komplex des terroristischen Anschlags vom 19. Februar 2020 in Hanau unabhängig von der Landesregierung zu untersuchen und dazu einen faktenorientierten Abschlussbericht für die Öffentlichkeit zu erstellen.
Diese Kommission sollte mit Fachleuten aus den Bereichen Kriminologie, Forensik, Strafrecht, öffentliches Recht, sowie mit unabhängigen Vertreter:innen aus Anwaltschaft und Medien, aus Polizeigewerkschaft, Staatsanwaltschaft oder ehemalige Richter:innen und auch Parlamentarier:innen, die aber nicht aus Hessen kommen sollten, besetzt sein.
Die Kommission soll Untersuchungen u.a. zu folgenden Punkten anstellen:
— zu Umständen im Zusammenhang mit der Erteilung/Verlängerung der Waffenerlaubnis des Mörders und den hierfür Verantwortlichen
— zu den mangelhaften Abstimmungen zwischen den unterschiedlichen hessischen Behörden und darüber hinaus
— zu den Abläufen in der Tatnacht, wozu insbesondere eine exakte Rekonstruktion des Tathergangs sowie der Polizeieinsätze in der Tatnacht, sowohl an den Tatorten wie auch vor allem später um das Haus des Täters herum sowie innerhalb des Hauses gehört, wie auch;
— zum Einsatz der Rettungskräfte;
— zum Umgang mit Opfern in der Tatnacht und danach;
— zum Umgang und Angehörigen in der Tatnacht und danach;
— zu technischen und organisatorischen Versäumnissen, hier insbesondere;
— zu dem bei der Polizei nicht oder nur mangelhaft erreichbaren Notruf 110,
— zu den Umständen der Sperrung des Notausgang am Tatort in Kesselstadt und den hierfür Verantwortlichen,
— zu den Umständen und Abläufen bezüglich der Obduktionen der Opfer sowie der späteren Freigabe der Leichname und den hierfür Verantwortlichen.
Begründung:
Von den verantwortlichen Stellen in Hessen wird bislang jegliche ernsthafte Aufklärung von bekannten und noch nicht öffentlich bekannten, jedoch offensichtlichen Fehlern und Unzulänglichkeiten vor, während und nach der Tat abgelehnt, jedes mögliche Behördenversagen negiert sowie entsprechende Aufklärung aktiv blockiert.
Dieses Verhalten der hessischen Landesregierung von Ministerpräsident Volker Bouffier und Innenminister Peter Beuth sowie die Verweigerung einer geordneten Aufklärung grenzt an Vertuschung. Die Motive für dieses in einem Vorfall dieser Größenordnung hoch ungewöhnlichen Verhaltens ist unerklärlich und verstärkt den Verdacht, dass die hessische Landesregierung Vorgänge und Sachverhalte vor der Öffentlichkeit verbergen will, die durch diesen Anschlag ans Tageslicht kommen und die hessische Landesregierung politisch und rechtlich schwer belasten könnten.
Die hessische Landesregierung und die ihr untergeordneten Behörden sind in diesem Verfahren Partei, da es um ihre möglichen Versäumnisse geht, und da sie an Aufklärung erkennbar nicht interessiert sind. Deshalb ist es unumgänglich, dass Fachleute und Institutionen, die keinerlei Abhängigkeiten von oder Beziehungen zu der Landesregierung Hessen haben, den Komplex des Terroranschlags von Hanau aufarbeiten. Der Landesregierung muss angesichts ihrer Untätigkeit über ein Jahr nach dem schrecklichen Anschlag weitgehendes Versagen und mögliches Vertuschen attestiert werden.
Denn viele offenen Fragen bezüglich der im Ergebnis tödlichen Kette behördlichen Versagens sind seit Monaten bekannt, und dennoch wird von der Landesregierung alle Kritik totgeschwiegen, bagatellisiert oder aktiv abgeblockt. So verstärkt sich der Verdacht, dass hier in Hessen einmal mehr etwas vertuscht werden soll, wie es in Hessen seit den Taten des NSU, immer wieder zu erleben und zu beklagen ist.
Dieses Mal allerdings wollen und werden wir es nicht zulassen, dass unsere berechtigten Fragen und unsere sachliche Kritik ignoriert werden und dass behördliches sowie polizeiliches Versagen unter den Teppich gekehrt werden kann.
Mit der geforderten unabhängigen Untersuchungskommission setzen wir uns für ein weiteres, von Hessen unabhängiges Gremium ein, damit die Fehler dieses schrecklichen Anschlages ohne Rücksicht auf mögliche schwere Versäumnisse der Landesregierung aufgearbeitet werden kann. Das Ziel ist, dass keine Familie erneut erleben muss, was wir erleiden müssen.