Liebe Freund:innen,
Unser Newsletter soll alle Interessierten auf dem Laufenden halten über Neuigkeiten bezüglich „Erinnerung, Gerechtigkeit, Aufklärung, Konsequenzen“, unseren vier zentralen Forderungen. Wir wollen wichtige Termine „rund um Hanau“ teilen, auf wichtige Artikel und Texte aufmerksam machen, schnell und einfach informieren und mobilisieren. Wir wollen Euch einladen mitzuwirken im Kampf gegen Rassismus und für eine Gesellschaft der Vielen.
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Den vollständigen Newsletter als PDF findet ihr hier zum Download.
Und wir beginnen die zweite Ausgabe mit den ersten Zeilen der beeindruckenden „Möllner Rede im Exil“, die Naomi Henkel-Gümbel (Überlebende des Anschlages in Halle im Oktober 2019 und Rabbinerin in Ausbildung) und Newroz Duman (aktiv in der Initiative 19. Februar Hanau) gemeinsam am 18. April 2021 in Hamburg in Gedenken an die Opfer des rassistischen Brandanschlags in Mölln im Jahre 1992 gehalten haben. Die gesamte Rede und ein Video-Mitschnitt finden sich unter folgendem Link: https://gedenkenmoelln1992.wordpress.com
„Wir sind die radikale Vielfalt an sich; das Schöne, das Andere, das Sichtbare, das Mögliche.
Aber wie sind wir das geworden? Wir alle tragen die unterschiedlichsten Geschichten mit uns: die eigenen, die geerbten, die erträumten, die verlorenen, die erstrebten, die erkämpften…
Die unterschiedlichsten Geschichten, und doch eint es uns, dass wir heute hier sind.
Was ist dieses etwas aber, das uns eint?
Unser Alltag wurde durch Gewalt und Ausgrenzung gebrochen. So weit, dass wir um unser eigenes Leben und das unserer Liebsten fürchten mussten, vielleicht immer noch fürchten. Diese Furcht – bei manchen schlug sie in einen Schmerz über den Verlust eines geliebten Menschen um.
10373 Tage sind vergangen. 10373 Tage.
Das sind 28 Jahre, 4 Monate und 26 Tage, die seit dem 23. November 1992 vergangen sind. Das sind 10373 Tage ohne Bahide, Yeliz und Ayşe.
Das sind 10373 Tage, seitdem die Welt ohne das Lachen und ohne die Wärme der Drei auskommen muss. Es sind 10373 Tage, in denen Geburtstage, Familienfeiern, Hochzeiten, Feiertage gefeiert wurden und ihre Präsenz fehlte. 10373 Tage, die ihnen geraubt wurden. Diese Drei – Bahide, Yeliz und Ayşe – sie sind vor 28 Jahren, 4 Monaten und 26 Tagen aus dem Leben gerissen worden.
Sie wurden ihres Lebens beraubt; auf einem nicht natürlichen Weg. Auf einem ungerechten Weg. Auf einem hasserfüllten Weg. Jemand hat Dir aus hasserfüllten Motiven Deine Liebsten genommen.
Der Verlust einer geliebten Person: Wie geht man damit um? Wie findet man Kraft für jeden neuen Tag? Was tut man, wenn man an sich zweifelt? Wenn man an der Welt verzweifelt?
Und irgendwann trifft einen diese Erkenntnis: Es gibt kein Zurück zur Normalität. Dieser Tag, dieser Moment, er hinterlässt Narben, die bleiben und uns für immer prägen. Es gibt Tage, an denen reißen die Narben auf und man fühlt den starken, stechenden Schmerz. Und dann gibt es Tage, an denen uns diese Narbe unterschwellig beeinträchtigt. Man wünscht sich die Tage vor jenem Tag, vor jenem Moment, zurück.
Was treibt einen an? Was treibt einen dazu, gegen den Widerwillen von Institutionen und der breiten Gesellschaft für Aufklärung zu streiten? Trotz des Ganzen, auch danach noch, erfahrenen Unrechts, weiterzukämpfen?
Es gibt viele Beweggründe. Für manche ist es die schiere Wut, die sie antreibt. Wut, dass diese Tat überhaupt passieren konnte. Dass die Angst, der Schmerz, der Verlust nicht anerkannt werden. Andere sind getrieben von einem Gefühl der Verantwortung oder sogar Schuld ihren Liebsten gegenüber. Verantwortung, für Aufklärung zu sorgen und ihrer zu gedenken.
Wieder anderen hilft es bei der Bewältigung des Erlebten. Auch wenn es die Narbe nicht heilen kann, hilft es ihnen, einen Umgang mit ihrem Schmerz zu finden.
Für manche sind es auch alle Gründe zusammen. Doch unabhängig davon, was uns genau antreibt, ob Wut, Verantwortung, Bewältigung oder alles drei, eines haben wir gemeinsam:
Wir haben uns dem nicht gebeugt – wir sind nicht in die Unsichtbarkeit gegangen. ….“
Erinnerung
Am 27. Mai hat die Stadt Hanau am Gedenkkreuz für Vili Viorel Păun eine zusätzliche Gedenktafel aufgestellt, die den Hintergrund seiner Ermordung erläutert.
„Vili Viorel Păun hatte den Attentäter des 19. Februar 2020 auf eigene Faust verfolgt, um ihn aufzuhalten. Er versuchte zwischen 21:57 und 21:59 mehrmals vergeblich, einen Notruf bei der Polizei abzusetzen.
Vili Viorel Păun bezahlte an dieser Stelle seine Zivilcourage mit dem Leben.“
Gerechtigkeit
Bis heute (8. Juni 2021) haben die Angehörigen der Opfer und die Überlebenden des 19. Februar von der hessischen Landesregierung keinen Cent an direkter finanzieller Unterstützung erhalten. Zwar wurde Anfang des Jahres ein allgemeiner Fond für Opfer von Straftaten in Hessen verabschiedet und mit zwei Millionen Euro ausgestattet. Doch gleichzeitig blieb unklar, wer davon was und wie beantragen kann. Der Hanauer Anschlag wurde genannt, aber ebenso Volkmarsen (mit alleine 150 Verletzten) und sonstige Betroffene. Damit wurde angesichts der geringen Summe eine inakzeptable Opferkonkurrenz in die Welt gesetzt.
Im August wird der Anschlag von Hanau 18 Monate her sein, dann wird für einige der Angehörigen und Überlebenden der Krankengeldbezug auslaufen. erhalten. Und sie werden in eine noch unsicherere finanzielle Situation geraten. Das kann und darf nicht sein. Die Hinterbliebenen und Überlebenden müssen eine finanzielle Absicherung durch einen eigenen Fond als Opfer rassistischer Anschläge erhalten. Das fordern mit uns über 53.000 Menschen mit ihren Unterschriften unter einer entsprechenden Petition, die am 8. Juni an Vertreter:innen der demokratischen Fraktionen in Wiesbaden übergeben wurden.
Aufklärung
Ein Überblick über Strafanzeigen und juristische Schritte
Wie in der ersten Ausgabe beschrieben, sind es nicht die Behörden sondern die Familien und Überlebenden mit ihren Anwält:innen und Unterstützer:innen, die auf verschiedenen Ebenen versuchen, dass die Vorgänge vor, in und nach der Tatnacht aufgeklärt werden. Im folgenden ein kurzer Überblick:
Seit Dezember 2020 läuft bereits eine Strafanzeige gegen Unbekannt wegen des verschlossenen Notausgangs am zweiten Tatort. Seitdem müssen (!) Staatsanwaltschaft und Polizei dazu ermitteln, Informationen zum Stand der Dinge gibt es aber bislang nicht. Im Februar 2021 wurde zudem eine ausführliche Anzeige gegen den Vater des Täters wegen Beihilfe zum mehrfachen Mord oder Nichtanzeige geplanter Straftaten gestellt. Auch dazu gibt es von den Behörden bislang nur Stillschweigen. Wegen der nur teilweisen Nichterreichbarkeit des Notrufes der Hanauer Polizei in der Tatnacht wurde laut Staatsanwaltschaft ein „Prüfverfahren“ eingeleitet. Darüber hinaus ebenfalls keine weiteren Informationen. Schließlich wurde beim hessischen Innenminister Beuth eine Dienstaufsichtsbeschwerde eingereicht,
in der neben Notausgang und Notruf insbesondere auch die falschen bis gefälschten Obduktionsbewilligungen
thematisiert wurden. Das Innenministerium verweigert mit Verweis auf offene Verfahren jegliche inhaltliche Antwort. Eine entsprechende Amtshaftungsklage ist deshalb in Vorbereitung. Noch im Juni ist die Beantragung eines Untersuchungsausschusses zu Hanau durch die Oppositionsparteien im hessischen Landtag geplant.
Spätestens im Herbst sollten dann in diesem parlamentarischen Ausschuss die vielen offenen Fragen zur Kette behördlichen Versagens gestellt und damit die verantwortlichen Behörden zu Antworten gezwungen werden.
Konsequenzen?! – Teil 1
„Rassismus ist noch immer eine brutale Wirklichkeit in unserem Land. Die Anschläge in Hanau und Halle, die Taten des NSU, der Mord an Walter Lübcke – sie alle zeigen es.“
„Beim Bundesamt für Verfassungsschutz wollen wir eine Zäsur. Die Morde des NSU haben gezeigt, dass die Verfassungsschutzämter gegenüber dem Rechtsterrorismus versagt haben.“ Beide Zitate stammen aus dem aktuellen Parteiprogramm der Grünen für die Bundestagswahl.
Wie sieht es aus in Hessen, wo die Grünen seit 2014 mit der CDU eine Regierung bilden?
NSU-Akten bleiben verschlossen, ein CDU-Ministerpräsident verhindert und verzögert Aufklärung durch Vereitelung oder Verzögerung von Zeugenbefragungen. Mit Unterstützung eines grünen Koalitionspartners.
Während Grüne auf Bundesebene Aufklärung fordern, enthielten sich 2014 die hessischen Grünen
bei der Abstimmung über einen NSU-Untersuchungsausschuss! Als in Hessen 2019 ein rassistisches Netzwerk in der Polizei bekannt wird, wäre ein weiterer Moment zu entschlossenem Handeln gewesen – von den Grünen in Hessen war nichts zu sehen.
Den Oppositionsparteien blieb es vorbehalten, die schleppenden Ermittlungen im Zusammenhang mit „NSU 2.0“ zu kritisieren.
Es gibt nicht viele Interpretationsmöglichkeiten für ein solches Verhalten – zwischen einfacher Rückgratlosigkeit und direkter Heuchelei zum eigenen Machterhalt dürften sich die meisten bewegen. Die Frage stellt sich jedoch, wie die Grünen auf dem Weg zur Bundestagswahl es schaffen wollen, den unbequemen Fall Hessen weiterhin zu ignorieren, ohne ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren. Ein grüner Tübinger Bürgermeister, der sich mehrfach offen rassistisch äußerte, schien nun nicht mehr tragbar. Was ist mit einer ganzen Landesfraktion, die kontinuierlich die Aufklärung rassistischer Morde mit- blockiert?
In Kürze wird derselbe Landtag über einen weiteren Untersuchungsausschuss abstimmen: den zur Aufklärung der vielen offen Fragen zum Anschlag am 19. Februar in Hanau. Die zur Einsetzung nötigen Stimmen wird es im Landtag auch ohne die Grünen geben, trotzdem sollten sie sich in Hessen sowie bundesweit der Bedeutung dieser Entscheidung bewusst sein. Es gibt einiges nachzuholen! Und ein ,,Wir würden ja gerne, aber…“ wird nicht länger hingenommen. Wir fordern die Grünen auf, ihre Versprechen im Kampf gegen Rassismus einzulösen!
Konsequenzen?! Teil 2 – Hanauer Polizei versagt weiter – Beleidigung und Bedrohung von Betroffenen!
Ende April 2021 trafen zwei junge Menschen in ihrem Auto auf dem Waldparkplatz zwischen Hanau- Wilhelmsbad und Hanau-Mittelbuchen gegen 0:10 Uhr auf einen Mann, der sich ihnen mit Griff nach der im Holster an seiner Hüfte steckenden Waffe bedrohlich näherte. Beide sind aufgrund ihrer persönlichen Nähe zu Opfern des 19.Februar sensibilisiert. Sie setzen direkt einen Notruf bei der Polizei ab. Statt diesen Notruf ernst zu nehmen, wurde ihnen mit Hinweis auf die Corona- Ausgangssperre eine Anzeige angedroht. Als die beiden Betroffenen am frühen Morgen bei der Polizeidienststelle am Hanauer Freiheitsplatz nochmals direkt versuchten, eine Anzeige aufzugeben, wurden sie vom gleichen Polizisten nicht nur erneut abgewimmelt sondern beschimpft und sogar bedroht.
Wir erinnern uns natürlich sofort an die Vorfälle mit einem bewaffneten Mann, der vor dem JUZ in Kesselstadt 2017 und 2018 Jugendliche bedroht hatte. Damals wurde den bedrohten Jugendlichen seitens der Polizei unterstellt, dass sie bewusst falsch alarmiert hätten und gesagt, dass sie den Einsatz zu zahlen hätten. Heute kann nicht mehr ausgeschlossen werden, dass es sich um den Attentäter vom 19.Februar handelte.
Immerhin: Laut Hessenschau erklärte das zuständige Polizeipräsidium zum aktuellen Skandal, es laufe ein disziplinarrechtliches Verfahren. Der Beamte sei zudem versetzt worden. Die Hanauer Staatsanwaltschaft ermittelt nach hr-Informationen mittlerweile auch strafrechtlich gegen den Polizisten wegen Strafvereitelung im Amt sowie gegen den Unbekannten mit der Waffe wegen Bedrohung und Nötigung, außerdem wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Waffengesetz.
Der ausführliche Bericht und Video in der Hessenschau:
Bildungsinitiative Ferhat Unvar
Großartige Neuigkeiten von der Bildungsinitiative Ferhat Unvar!
Nach langer Suche hat die „Bildungsini“ endlich einen passenden Raum gefunden, der in Zukunft zu einer Bildungs-, Begegnungs- und Beratungsstätte eingerichtet werden soll. Der Mietvertrag ist bereits unterschrieben. Bis es aber tatsächlich losgehen kann, ist noch einiges zu tun: Der Raum muss noch renoviert und eingerichtet werden. Das kostet nicht nur Zeit, sondern auch Geld. Wer die Bildungsinitiative Ferhat Unvar in diesem großen Schritt auf ihrem Weg unterstützen möchte, kann sich gerne direkt mit der Bildungsinitiative in Verbindung setzen:
www.bildungsinitiative-ferhatunvar.de
Stern für Hanau am 19. Juni 2021
Mobilisierung zur Fahrradsternfahrt läuft auf vollen Touren
Genau 16 Monate wird der rassistische Mordanschlag zurückliegen, wenn sich am Samstag, dem 19. Juni, Hunderte von Radfahrer:innen aus vielen Städten und Gemeinden Südhessens und Nordbayerns zu einem regionalen „Ride to Remember“ nach Hanau auf den Weg machen. Mit den #saytheirnames-T-Shirts, sowie der „Startnummer“ 19 02 20 werden die Teilnehmer:innen an die neun Opfer vom 19. Februar 2020 erinnern. Bei Kundgebungen und Informationsständen an vielen Orten entlang der Strecke werden sie die Forderung der Angehörigen und Überlebenden nach lückenloser Aufklärung unterstützen.
Sechs Routen sind mittlerweile in Vorbereitung, mit Startpunkten und Zwischenstationen aus allen Himmelsrichtungen, u.a. in Frankfurt, Offenbach, Gießen, Hammersbach, Gelnhausen, Rodenbach, Aschaffenburg, Kahl, Dudenhofen und Mühlheim. Auf der interaktiven Karte der Website Stern für Hanau lassen sich viele Abfahrtsorte, -zeiten und Kontaktadressen finden, um sich den Fahrrad- Demonstrationen nach Hanau anzuschließen.
Um 13.00 Uhr werden alle Rad-Gruppen auf dem Hanauer Freiheitsplatz zu einer gemeinsamen Kundgebung zusammenkommen. Hier werden insbesondere Angehörige und Überlebende zum aktuellen Stand bezüglich ihrer vier zentralen Forderungen nach „Erinnerung, Gerechtigkeit, Aufklärung und Konsequenzen“ informieren.
Die Initiative 19. Februar ruft alle Interessierten auf, sich an vielen Orten der Sternfahrt nach Hanau anzuschließen. Im „Laden“ der Initiative in der Krämerstraße 24 können Plakate und Flyer zur weiteren Mobilisierung abgeholt werden. Außerdem sind beide Grafiken als PDF zum Download auf der Website der Sternfahrt zu finden.