Bei der offiziellen Trauerfeier übergab die Mutter von Ferhat Unvar der Bundeskanzlerin einen Brief. Serpil Temiz‘ Schreiben:
Serpil Temiz
Hanau 4. März 2020
An
Bundeskanzlerin Angela Merkel
Sehr geehrte Frau Dr. Merkel,
ich schreibe Ihnen heute als Mutter eines Ermordeten vom 19. Februar, als Mutter von Ferhat Unvar.
Ferhat wurde, wie acht weitere junge Menschen, am 19. Februar von einem Rassisten ermordet. Der Täter hat seinen Wunsch nach dieser Tat nie verheimlicht, hat in den sozialen Netzwerken seine Absicht, ein Massaker zu begehen, bekundet und seine rassistische Gedankenwelt in Briefen den Behörden mitgeteilt. Seltsamerweise wurden seine Absichten nicht ernst genommen, wie schon so oft zuvor.
Diese grausame Tat muss Sie als Bundeskanzlerin dazu bringen, endlich zu reagieren und die Gesellschaft gegen Rassismus zu erwecken. Das gilt auch für die Blindheit der Verfolgungsbehörden. Es war nicht das erste Mal und ich fürchte, es wird nicht das letzte Mal sein, wenn sich nicht schnell etwas ändert.
Deshalb stellen wir als Familie eines der Ermordeten heute Forderungen an Sie als Bundeskanzlerin.
– Ich fordere eine vollständige Aufklärung der Tat. Es dürfen nicht die gleichen Fehler gemacht werden wie beim NSU-Komplex, wo Familienmitgliedern eine vollständige Untersuchung versprochen wurde, die leider nie stattfand, ganz zu schweigen davon, dass sie jahrelang selbst zu Tätern gemacht wurden. Wenn es keine lückenlose Aufklärung gibt, ist es, als würde mein Sohn ein zweites Mal ermordet.
Ich bitte Sie daher, uns einen offiziellen Ansprechpartner zu nennen, der sicherstellt, dass
unsere Sorgen ernst genommen werden und dass dieser Fall verfolgt wird.
– Die Familien der Opfer brauchen lebenslange Unterstützung für ihren dauerhaften Verlust, der
durch nichts kompensiert werden kann. Die Lebenschancen der Angehörigen dürfen nicht verschlechtert werden. Wir bitten die Bundesregierung, uns in diesem geschädigten Leben zu begleiten, sei es durch ehrenamtliche Patenschaften des Bundespräsidenten oder Geschwister-Stipendien.
– Ich fordere die Gründung einer staatlich geförderten Stiftung, deren Mitglied und führender Akteur ich mit anderen Angehörigen sein kann. Sie soll Aufklärungsarbeit gegen Hass und Rassismus leisten und das gemeinsame, friedliche Zusammenleben aller Einwohner dieses Landes leisten.
Die Opfer von Hanau dürfen nie vergessen werden. Die Namen müssen in der Schule gelernt werden und auf den Straßen lesbar sein.
Hochachtungsvoll und in tiefer Trauer,
Serpil Temiz