Nach über 4 Jahren meldet sich der neue hessische Innenminister Poseck zu Wort und bittet die Betroffenen des rechtsterroristischen Anschlags in Hanau um Entschuldigung für die Fehler, die passiert sind. Gut, dass das endlich passiert!
Aber: Man kann kein Vertrauen zurückgewinnen, wenn man die zentralen Versäumnisse der Polizei und die dafür Verantwortlichen auch nach vier Jahren nicht beim Namen nennt! Man kann kein Vertrauen zurückgewinnen, wenn man sagt, die Polizei habe trotz allem gut gearbeitet!
Wir wissen: Die Verantwortlichen sind entweder befördert oder in den Ruhestand geschickt worden, dazu sagt der Innenminister kein Wort. Wenn er einsieht, dass der nicht besetzte Notruf ein Fehler war, wieso benennt er keine Verantwortlichen und die, die vertuscht haben? Nur ein Beispiel: Roland Ullmann, am 19.2.2020 der Chef des Polizeipräsidiums Südosthessen und damit hauptverantwortlich, wurde fünf Monate nach der Tat von Innenminister Beuth zum Hessischen Polizeipräsidenten befördert. Er hat sogar im Zeugenstand im Untersuchungsausschuss zu Hanau seine Verantwortung zum nicht funktionierenden Notruf vertuscht. Wer über diese Skandale nicht sprechen will, sollte besser schweigen.
Es ist leider nichts Neues und eine weitere Enttäuschung, wenn hinter verschlossenen Türen von einem „eklatantem Versagen und unverzeihlichen Fehlern“ gesprochen und in der Öffentlichkeit an Relativierungen festgehalten wird. „Gab es interne Ermittlungen? Gegen wen und was hatten sie für Konsequenzen?“, fragt Niculsecu Păun. Es ist die Kontinuität der psychischen Gewalt durch die hessischen Behörden, die glauben mit einem „Wir machen in Zukunft alles besser“ würde man die Betroffenen besänftigen und Vertrauen aufbauen. Vaska Zlateva fragt: „Warum kommt die Entschuldigung erst jetzt? Warum nicht zum Jahrestag? Mein Cousin Kaloyan Velkov wurde erst eine halbe Stunde später gefunden und wir wurden tagelang nicht informiert. Kann man das mit einer Entschuldigung wiedergutmachen?“
Es ist gut, dass die Empfehlungen in der Zukunft umgesetzt werden sollen. Dies ist aber kein Geschenk für die Betroffenen, sondern die Pflicht der Behörden und des Staates!
Çetin Gültekin sagt: „Was passiert mit der Waffenbehörde Main-Kinzig-Kreis, die dafür verantwortlich ist, dass der rechtsextreme Täter legal Waffen besaß? Ich wünsche mir Konsequenzen für die Verantwortlichen, und dass die angekündigte Verschärfung des Waffenrechts in die Tat umgesetzt wird. Dann wären die Ankündigungen für mich glaubhaft.“
Es kann nur dann Vertrauen wieder aufgebaut werden, wenn der 19. Februar 2020 ernsthaft aufgearbeitet wird, Verantwortung übernommen wird und Konsequenzen folgen.
Die Kette des Versagens von Polizei und Behörden in Hanau
Zum 1. Jahrestag des rassistischen Terroranschlages in Hanau, dem 19. Februar 2021, hatte die Initiative 19. Februar Hanau einen ausführlichen Bericht veröffentlicht: „Die Kette behördlichen Versagens vor dem rassistischen Terroranschlag, in der Tatnacht und in den Monaten danach.“ (Siehe https://19feb-hanau.org/wp-content/uploads/2021/02/Kette-des-Versagens-17-02-2021.pdf)
Heute über vier Jahre nach dem rassistischen Anschlag wurden die zentralen Fehler, die wir recherchiert haben, bestätigt und sogar noch erweitert – nicht zuletzt durch die Recherchen von Journalist*innen, Forensic Architecture und den parlamentarischen Untersuchungsausschuss.
- 13 der 19 SEK-Polizisten, die in Hanau am Täterhaus im Einsatz waren, waren in rassistischen Chats beteiligt.
- Der Alarm für eine sogenannte Großlage wurde in den ersten drei entscheidenden Stunden nach der Tat nicht ausgelöst, weil der Einsatzleiter Jürgen Fehler es nicht für nötig erachtete.
- Das Ausmaß des Kommunikationschaos innerhalb der Polizei belegt ein 50-seitiger interner Polizeibericht, der erst nach dem dritten Jahrestag geleakt wurde.
- Kaloyan Velkov, das erste Opfer, wurde erst knapp 30 Minuten nach der Tat zufällig von der Polizei gefunden. Polizeibeamte sind über den Körper von Ferhat Unvar hinweggestiegen, ohne seine Vitalfunktionen zu überprüfen.
- Beamte schicken zwei Überlebende kurz nach dem Anschlag schutzlos zu Fuß zur Polizeistation, obwohl der Aufenthaltsort des Täters noch nicht bekannt war.
- Forensic Architecture rekonstruierte mit Hilfe eines Hubschraubervideos aus der Tatnacht, dass die Polizei die Eingänge des Täterhauses über lange Zeiten nicht sicherte und der Täter dadurch hätte fliehen können.
- Der eingesetzte Hubschrauber von der Polizei-Kommunikation abgehängt und bekam zu keinem Zeitpunkt die Anschrift des Täterhauses genannt.
- Vili Viorel Păun und viele andere haben den Notruf nicht erreicht. Der Notruf war in den entscheidenden Minuten nur mit einer Person besetzt, es gab kein Überlaufsystem. Das wurde lange vertuscht.
- Familie Păun wurde in der Tatnacht überhaupt nicht informiert, die Eltern erfuhren erst 16 Stunden nach der Tat auf eigene Anfrage hin vom Tod ihres Sohnes und wurden auch danach komplett allein gelassen.
- Die Familie von Mercedes Kierpacz wurde in der Tatnacht von einer Sondereinheit der Polizei mit vorgehaltener Waffe bedroht. Zu keinem Zeitpunkt wurde sich hierfür bei der Familie entschuldigt.
- Der verschlossene Notausgang in der Arena-Bar hat Hamza Kurtović und Said Nesar Hashemi das Leben gekostet. Weder die Staatsanwaltschaft noch die Polizei haben von Amts wegen Ermittlungen zum verschlossenen Notausgang eingeleitet, stattdessen haben sie es vertuscht. Erst die Strafanzeige von Familie Kurtović führte zur Prüfung. Der Hanauer Staatsanwalt Links sah davon ab, ein Verfahren zu eröffnen trotz aller Beweismittel. Seine zusammengereimten Argumente wurden durch die Recherchen der Familie Kurtović und die Rekonstruktion von Forensic Architecture und durch die Aussagen der Überlebenden, unter anderem von Said Etris Hashemi, im Untersuchungsausschuss widerlegt. Trotzdem wurde kein neues Verfahren eröffnet.
- Das Täterhaus wurde erst etwa 5 Stunden nach der Tat gestürmt.
- Der Vater des Täters hat nicht aufgehört mit rassistischen Schreiben und dem Nachstellen, Belästigen und Verhöhnen von Familienangehörigen der Opfer.
- Innenminister Peter Beuth und die Polizeiführung um Udo Münch (zur Tatzeit Polizeipräsident von Hessen), Roland Ullmann (zur Tatzeit Polizeipräsident von Südosthessen – im Juli 2020 befördert zum Hessischen Polizeipräsidenten), Jürgen Fehler (zur Tatzeit Polizeidirekter des Main-Kinzig-Kreises und Hanau – danach befördert) sowie Dirk Fornoff (zur Tatzeit Polizei-Abteilungsleiter in Frankfurt und heute in selber Funktion im Polizei-Präsidium Südhessen) haben im weiteren Verlauf systematisch vertuscht und sogar gelogen, um ihr Versagen und ihre Verantwortlichkeiten zu kaschieren.