Zum Notruf-Versagen in Hanau am 19.02.20 +++ Kausalität des Organisationsverschuldens für den Tod des Vili Viorel Păun ist eindeutig gegeben +++ Rechtsanwalt der Familie Păun reicht bei Staatsanwaltschaft detaillierte Beschwerde gegen die angekündigte Einstellung der Ermittlungen ein
Pressemitteilung der Initiative 19. Februar Hanau, Hanau, 26. Oktober 2021
Vergangene Woche hat der Rechtsanwalt der Familie Păun fristgerecht eine ausführliche Beschwerdebegründung bei der Staatsanwaltschaft Hanau eingereicht. Beantragt wird, den Hinweisen auf ein Organisationsverschulden nachzugehen und ein offizielles Ermittlungsverfahren einzuleiten.
Zur Erinnerung: Am 5. Juli 2021 hatte die Staatsanwaltschaft Hanau eine 24-seitige Presseinformation veröffentlicht. Die Überschrift lautete: „Einleitung eines Ermittlungsverfahrens betreffend den Vorwurf der Nichterreichbarkeit des polizeilichen Notrufes am 19.02.2020 abgelehnt“. In dem Text wird argumentiert, dass nicht gesichert sei, dass das Handynetz von Vili Viorel Păun funktioniert habe und dass nicht klar wäre, ob er den Anweisungen der Polizei, Sicherheitsabstand zum Täter zu halten, gefolgt wäre. Insofern wäre keine Kausalität – also kein direkter Begründungszusammenhang zwischen der Nichterreichbarkeit des Notrufs und dem Tod von Vili Păun – gegeben.
Dazu Niculescu Păun, der Vater von Vili: „Mein Sohn hat die Nummer gewählt, die auf jedem Polizeiwagen steht. Es ist unerträglich, dass ihm unterstellt wird, er hätte die Aufforderungen der Polizei nicht ernst genommen. Vili glaubte vielmehr bis zur letzten Sekunde, dass die Polizei ihm zu Hilfe kommen würde. Ich bin überzeugt, dass er noch leben würde, wenn die Polizei erreichbar gewesen wäre.“
Newroz Duman ergänzt: „Es gibt keinerlei Hinweis, dass Vili´s Handynetz versagt hätte. Vielmehr gibt es eine Reihe weiterer Tatzeugen und Überlebende, die ebenfalls erlebt haben, dass sie in der Nacht bei 110 nicht durchkamen. Es ist mittlerweile bewiesen, dass nur zwei Notruflinien existierten, wovon eine nach einem ersten eingegangenen Notruf von 16 Sekunden verlassen und das Telefon dann einfach klingeln gelassen wurde.“
Björn Elberling, der Rechtsanwalt der Familie Păun, erläutert: „Es ist eindeutig, dass der polizeiliche Notruf unterbesetzt war und – trotz aller Kritik und Warnungen innerhalb der Polizei – die personelle sowie völlig veraltete technische Ausstattung nicht den Notwendigkeiten angepasst wurde. Ca. 20 Jahre lang haben die Verantwortlichen wissentlich das Risiko der Nichterreichbarkeit in Kauf genommen. Die explizit geäußerte Befürchtung, dass die Übermittlung von aktuellen Ortsangaben zu einem Täter an mangelnder Notrufkapazität scheitern könnte, mit fatalen Folgen für die Menschen an den späteren Tatorten, ist am 19.02.20202 exakt so eingetreten. Dazu muss die Staatsanwaltschaft weiter ermitteln.“
In der Beschwerde wird entlang der offiziellen Akten detailliert das selbstlose und couragierte, aber dabei durchaus besonnene Verhalten des Vili Viorel Păun nachgezeichnet. Ausführlich wird sowohl „zur eindeutigen Kausalität“ des Organisationsverschuldens für den Tod von Vili Stellung genommen als auch „zur jedenfalls möglichen Kausalität“ des Organisationsverschuldens für den Tod der weiteren in Kesselstadt ermordeten Personen. Die Beschwerde beinhaltet demzufolge den Antrag, die Ermittlungen aufzunehmen, soweit ein fahrlässiges Unterlassen einer ausreichenden technischen und personellen Ausstattung des Notrufs im Bereich Hanau im Raume steht.
Newroz Duman fasst abschließend zusammen: „Wenn die Staatsanwaltschaft schreibt, dass der Tod von Vili, Hamza, Ferhat, Mercedes, Said Nesar und Gökhan nicht in einem kausalen Zusammenhang damit steht, dass Vili den Notruf nicht erreichen konnte, dann ist das reine Spekulation. Genau deshalb muss hier weiter ermittelt werden. Vili hat mit seinem mutigen Eingreifen bereits am ersten Tatort weitere Morde verhindert. Bei einem intakten Notruf hätte jedenfalls sein eigenes Leben gerettet und hätten womöglich sogar die Opfer am zweiten Tatort verhindert werden können. Alle Familien der Opfer verlangen zu Recht, dass die Verantwortlichen dieses Organisationsversagens ermittelt und zur Rechenschaft gezogen werden.“