Zunächst bedanken wir uns, dass auch Herr Kasseckert der Demonstration am 22. August und der Aufklärung rund um den rassistischen Terroranschlag vom 19. Februar große Bedeutung beimisst.
Der Rest seines Beitrags irritiert uns jedoch sehr. Wir lesen ihn als offizielle Aufforderung dazu, die Augen vor dieser schrecklichen Tat zu verschließen. Wie sonst ist seine Haltung „ man solle loslassen und am besten alles entfernen, was mit der Tat zu tun hat“ zu verstehen? Zu welcher Normalität soll unsere Stadt zurückkehren?
Es darf kein zurück zu einer Normalität geben, in der sich ein solch rassistischer Anschlag ereignen konnte. Es muss sich etwas ändern in dieser Gesellschaft. Uns ist daher das offene und vielfältige Gedenken in dieser Stadt sehr wichtig.
Damit sind wir nicht allein. Wir bekommen täglich positive Rückmeldungen von Hanauerinnen und Hanauern, die uns sagen, wie wichtig sie es finden, dass immer wieder erinnert wird. Dass es ihnen etwas bedeutet, dass frische Blumen und die Bilder unserer Kinder zu Füßen der Brüder Grimm dafür sorgen, dass diese Tat nicht vergessen wird. Dass wir unsere Trauer, aber auch die offenen Fragen, die uns bewegen, mit ihnen teilen. Dass recherchiert wird. Dass wir täglich um Aufklärung kämpfen. Dass gesprochen wird. Wir tun dies gemeinsam, damit diese Stadt sich entwickelt und verändert, Hanau und dieses ganze Land.
Wir sind froh, dass wir in dieser Stadt nicht alleine stehen, dass der Oberbürgermeister eine klare Haltung vertritt und dass sehr viele unserer MitbürgerInnen auch sagen, wir dürfen nicht vergessen. Solange Rassismus in diesem Land nicht verlernt und bekämpft wird, ist es wichtig, sich immer wieder vor Augen zu führen, was in Hanau passiert ist. Der Anschlag vom 19.Februar, bei dem unsere Kinder, Brüder und Schwester ermordet wurden, ist nicht „einfach so passiert”. Er ist einer der dunkelsten Momente in der Geschichte dieser Stadt.
Dass Menschen am Marktplatz am Denkmal der Brüder-Grimm und später dann mit einem Denkmal immer wieder erinnert werden, ist wichtig, damit sich etwas verändert. Menschen sollen ein Denkmal sehen und sich fragen, wie so etwas hier passieren konnte. Dass ein Mensch aus purem Rassismus aufsteht und unschuldige Menschen abknallt. Den Menschen soll gezeigt werden, dass das nicht irgend eine Tat war. Diese Tat und unser Verlust haben die Welt bewegt. Die Erinnerung stellt auch immer die Frage, was wir tun können, damit es nie wieder passiert.
Dass Herr Kasseckert jetzt möchte, dass man „loslässt“ und weitermacht, als wäre nichts gewesen, ist für uns unerträglich. Denn wir wissen, wie sehr es jeden Tag darauf ankommt, zu erinnern, nicht zuletzt damit das Versagen der Behörden im Vorfeld, während und nach der Tat nicht erneut unter den Teppich gekehrt werden kann.
Warum spricht Herr Kasseckert, wenn er über Zivilcourage und besondere Verdienste an dieser Gesellschaft spricht, nicht über den mutigen Versuch von Vili Viorel Paun, den Täter zu stoppen? Stattdessen hat Herr Kasseckert in einem Gespräch mit Angehörigen vor einigen Wochen in Gegenwart des Vaters von Vili Viorel Paun zum Ausdruck gebracht, dass es unverständlich sei, dass sich ihr Sohn dem bewaffneten Täter in den Weg gestellt hat. Vili Viorel hat diesen Akt der Zivilcourage mit seinem Leben bezahlt und er darf nicht vergessen werden.
Am Ende seines Gastbeitrags schreibt Herr Kasseckert auch, dass die Vergabe der „Ehrenplakette in Gold“ in diesem Zusammenhang unverständlich sei. Auch hierzu möchten wir kurz Stellung nehmen. Diese neun jungen Menschen wurden alleine aufgrund von Menschenhass aus ihren Leben gerissen. Keine Ehrung der Welt kann und wird jemals den Schmerz der Hinterbliebenen tatsächlich mindern können. In unserer Stadt, in der innerhalb von nur zwölf Minuten neun Menschen aus rassistischer Motivation heraus ermordet wurden, ist es weder zu Ausschreitungen noch zu einer Spaltung innerhalb der Stadtgesellschaft gekommen. Direkt nach diesem feigen Anschlag reagierte die gesamte Stadtgesellschaft unter dem Motto „Hanau steht zusammen“. Das dies damals so schnell klappen konnte und auch heute noch so gut klappt, ist aber insbesondere auch den Familien und Angehörigen der Todesopfer zu verdanken. Denn diese Menschen haben sich trotz ihres unendlichen Verlustes und der tiefen Trauer bisher immer für den gesellschaftlichen Zusammenhalt ausgesprochen. Nicht nur deshalb verdienen die Opfer und Familien doch die höchste Anerkennung. Diese „Ehrenplakette“ ist derzeit die höchste Ehrung der Stadt und ist daher mehr als zutreffend.
Wir dürfen nicht aufhören zu erinnern. Damit Ferhat, Hamza, Said Nesar, Vili Viorel, Mercedes, Kaloyan, Gökhan, Fatih und Sedat nicht umsonst gestorben sind. Damit sich etwas verändert.
Angehörige der Familien Hashemi, Gültekin, Gürbüz, Kurtovic, Unvar, Paun, Goman/Kierpacz, Saracoglu und Velkov
Institut für Toleranz und Zivilcourage – 19.Februar e.V.
Initiative 19.Februar Hanau